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Deutsche Spuren in Kopenhagen
Text 5
Friedrich Hebbel (1813-1863)
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TEXT 4

TEXT 6


Thorwaldsen

d. 16ten Jan: 1843.

Heute morgen besuchte ich Oehlenschläger und traf Thorwaldsen bei ihm. Eine imponierende Gestalt, edle, gebietende Züge, im Gespräch einfach, aber markig. Freundlichst lud er mich ein, ihn in seinem Atelier zu besuchen und wiederholte die Einladung, als er ging. Ich werde natürlich von dieser Erlaubnis Gebrauch machen. Er hat ein Gesicht, dem gegenüber niemand Komplimente drechseln wird. Ich bin einem großen Mann immer dankbar dafür, wenn er nicht aussieht, als ob ihn ein Töpfer aus Lehm gebacken hätte. Uhland - ich bin gewiß sein Freund - sieht aus, als ob ein großer Geist, in Verlegenheit um einen Körper und aus Angst zu spät zu kommen, eine Schusterseele zurückgedrängt und sich durch einen Raub vor der Geburt ins Leben hineingeschlichen hätte. Auch Thorwaldsens Geliebte, die Baronesse Stampe, war anwesend. Die hat mir zu viel Männliches in ihren Zügen. Später, nachdem ich wieder mit Oehlenschl. allein war, kam der Dichter Andersen. Eine lange, schlotterige, lemurenhaft-eingeknickte Gestalt mit einem ausnehmend häßlichen Gesicht.

d. 20sten Jan:

Heute morgen war ich mit Oehlenschläger bei Thorwaldsen. Er wohnt sehr schön, in dem Schloß Charlottenburg, wo sich die Zeichenschule befindet, in der er selbst als kleiner Knabe das Zeichnen erlernt hat. Zwei ziemlich große Zimmer voll interessanter Gemälde, die er mir zuerst zeigte. Aus seinem Wohnzimmer führte eine kleine Treppe ins Atelier. Da sah ich denn so viel, daß ich eigentlich nichts gesehen habe. Bewunderungswürdig Ganymed und der Adler, dem er zu trinken gibt; der Vogel blickt gravitätisch, wie ein Großvater, der sich vom Enkel bedienen läßt, der Knabe ist von himmlischer Schönheit. Herrliche Basreliefs. Die drei Grazien. Ein wunderbar-lebendiger Löwe. Seine Venus. Ein Hirten-Knabe mit einem Schäferhund. Zu viel! Zu viel! Der Alte war heute wie ein patriarchalischer Erzvater, er trug große wollene Strümpfe und eine Art Pudelmütze, die er abnahm und durchaus erst dann wieder aufsetzen wollte, wenn auch wir unsre Hüte aufsetzten. Ich werde, da er mich einlud, mir die Freiheit nehmen, öfter zu kommen.