INDEX
 
Deutsche Spuren in Kopenhagen
Text 1
Helmuth von Moltke (1800 - 1891)

 TEXT 2


Kadett von Moltke auf dem Paradeplatz
 
Schon im zwölften Lebensjahre wurde ich mit meinem älteren Bruder nach Kopenhagen in die Landkadettenakademie gebracht. Ohne Verwandte und Bekannte brachten wir dort eine recht freudlose Kindheit zu. Die Behandlung war streng, selbst hart, und wir gewöhnten uns früh an Entbehrungen aller Art.
Dankbar erinnere ich mich der einzigen Familie, die uns liebreich aufnahm. Der General Hegermann-Lindencrone besaß einen hübschen Landsitz nahe der Stadt, welcher der Tummelplatz unserer Knabenspiele an Sonntagen wurde mit drei Söhnen des Hauses, welche sich später in der dänischen Armee hervorgetan haben. Der Verkehr mit den edeln, feingebildeten Mitgliedern dieser Familie hat wohltätig auf meine ganze Entwicklung gewirkt.
[Aus den Erinnerungen von Moltkes Neffen und langjährigem Adjutanten Henry von Burt:] Als der Feldmarschall im Jahre 1882 auf einer Reise zum Besuch des Königs voll Schweden einen Tag in Kopenhagen verweilte, zeigte er mir das Haus, wo er mit seinem Bruder Fritz als Pensionär und Kadett bei einem General Lorenz gewohnt hatte. Ihr Zimmer war ein kleines Gelaß über einem Torwege. Dort haben die beiden Knaben gefroren und gehungert, denn der sehr geizige General kümmerte sich nicht um ihr Wohl und Wehe, sondern überließ sie ganz einer alten zanksüchtigen Haushälterin, die ihnen weder gehörige Nahrung, noch im Winter Wärme zukommen ließ. Sie besaß eine alte Ziege, die einst in die Wohnräume des Generals gelangte und hier einen Spiegel zertrümmerte. Aus Zorn darüber befahl der General, das Tier zu schlachten, und Fleisch und Fett dienten den Knaben zur Speise.
Wir gingen dann auf den Paradeplatz. Hier hatte der kleine Helmuth als Kadett einmal den Kopf beim Stillstehen im Gliede etwas vorgestreckt, da kam ein Offizier auf ihn zu und versetzte ihm mit dem Ellenbogen einen Stoß ins Gesicht, so daß das Blut sogleich aus der Nase floß. Der Knabe fing an zu weinen, und der Offizier fuhr ihn mit den Worten an: "Hvorfor holder du Snuten for?" [Warum hältst du die Schnauze vor?] Auf meine Frage, warum er seinen Eltern nicht geklagt habe, erwiderte der Feldmarschall: "Die Post ging nur sehr selten, so daß wir Jahre lang nicht nach Hause kamen, und dann dachten wir, es müßte so sein."