Es war einmal ein kleiner älterer Herr, der hieß
Herr Moritz und hatte sehr große Schuhe und einen schwarzen
Mantel dazu und einen langen schwarzen Regenschirmstock, und
damit ging er oft spazieren.
Als nun der lange Winter kam, der längste Winter auf
der Welt in Berlin, da wurden die Menschen allmählich böse.
Die Autofahrer schimpften, weil die Straßen so glatt
waren, daß die Autos ausrutschten. Die Verkehrspolizisten
schimpften, weil sie immer auf der kalten Straße rumstehen
mußten. Die Verkäuferinnen schimpften, weil ihre Verkaufsläden
so kalt waren. Die Männer von der Müllabfuhr schimpften,
weil der Schnee gar nicht alle wurde. Der Milchmann schimpfte,
weil ihm die Milch in den Milchkannen zu Eis gefror. Die Kinder
schimpften, weil ihnen die Ohren ganz rot gefroren waren, und
die Hunde bellten vor Wut über die Kälte schon gar
nicht mehr, sondern zitterten nur noch und klapperten mit den
Zähnen vor Kälte, und das sah auch sehr böse aus.
An einem solchen kalten Schneetag ging Herr Moritz mit seinem
blauen Hut spazieren, und er dachte: «Wie böse die
Menschen alle sind, es wird höchste Zeit, daß wieder
Sommer wird und Blumen wachsen.»
Und als er so durch die schimpfenden Leute in der Markthalle
ging, wuchsen ganz schnell und ganz viele Krokusse, Tulpen und
Maiglöckchen und Rosen und Nelken, auch Löwenzahn und
Margeriten. Er merkte es aber erst gar nicht, und dabei war schon
längst sein Hut vom Kopf hochgegangen, weil die Blumen immer
mehr wurden und auch immer länger.
Da blieb vor ihm eine Frau stehen und sagte: «Oh, Ihnen
wachsen aber schöne Blumen auf dem Kopf!»
«Mir Blumen auf dem Kopf!» sagte Herr Moritz,«so
was gibt es gar nicht!»
«Doch! Schauen Sie hier in das Schaufenster, Sie können
sich darin spiegeln. Darf ich eine Blume abpflücken?»
Und Herr Moritz sah im Schaufensterspiegelbild, daß
wirklich Blumen auf seinem Kopf wuchsen, bunte und große,
vielerlei Art, und er sagte: «Aber bitte, wenn Sie eine
wollen...»
«Ich möchte gern eine kleine Rose», sagte
die Frau und pflückte sich eine.
«Und ich eine Nelke für meinen Bruder», sagte
ein kleines Mädchen, und Herr Moritz bückte sich, damit
das Mädchen ihm auf den Kopf langen konnte. Er brauchte
sich aber nicht so sehr tief zu bücken, denn er war etwas
kleiner als andere Männer. Und viele Leute kamen und brachen
sich Blumen vom Kopf des kleinen Herrn Moritz, und es tat ihm
nicht weh, und die Blumen wuchsen immer gleich nach, und es kribbelte
so schön am Kopf, als ob ihn jemand freundlich streichelte,
und Herr Moritz war froh, daß er den Leuten mitten im kalten
Winter Blumen geben konnte. Immer mehr Menschen kamen zusammen
und lachten und wunderten sich und brachen sich Blumen vom Kopf
des kleinen Herrn Moritz und keiner, der eine Blume erwischt
hatte, sagte an diesem Tag noch ein böses Wort.
Aber da kam auf einmal auch der Polizist Max Kunkel. Max Kunkel
war schon seit zehn Jahren in der Markthalle als Markthallenpolizist
tätig, aber sowas hatte er noch nicht gesehn! Mann mit Blumen
auf dem Kopf! Er drängelte sich durch die vielen lauten
Menschen, und als er vor dem kleinen Herrn Moritz stand, schrie
er: «Wo gibt's denn so was! Blumen auf dem Kopf, mein Herr!
Zeigen Sie doch mal bitte sofort Ihren Personalausweis!»
Und der kleine Herr Moritz suchte und suchte und sagte verzweifelt:
«Ich habe ihn doch immer bei mir gehabt, ich hab ihn doch
in der Tasche gehabt!»
Und je mehr er suchte, um so mehr verschwanden die Blumen
auf seinem Kopf.
«Aha», sagte der Polizist Max Kunkel, «Blumen
auf dem Kopf haben Sie, aber keinen Ausweis in der Tasche!»
Und Herr Moritz suchte immer ängstlicher seinen Ausweis
und war ganz rot vor Verlegenheit, und je mehr er suchte - auch
im Jackenfutter -, um so mehr schrumpften die Blumen zusammen,
und der Hut ging allmählich wieder runter auf den Kopf!
In seiner Verzweiflung nahm Herr Moritz seinen Hut ab, und siehe
da, unter dem Hut lag in der abgegriffenen Gummihülle der
Personalausweis. Aber was noch!? Die Haare waren alle weg! Kein
Haar mehr auf dem Kopf hatte der kleine Herr Moritz. Er strich
sich verlegen über den kahlen Kopf und setzte dann schnell
den Hut drauf.
«Na, da ist ja der Ausweis», sagte der Polizist
Max Kunkel freundlich, «und Blumen haben Sie ja wohl auch
nicht mehr auf dem Kopf, wie?!»
«Nein...», sagte Herr Moritz und steckte schnell
seinen Ausweis ein und lief, so schnell man auf der glatten Straßen
laufen konnte, nach Hause. Dort stand er lange vor dem Spiegel
und sagte zu sich: «Jetzt hast du eine Glatze, Herr Moritz!»