- Sommerhaus, später
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- Ein Titel, der einen Lebenstraum in zwei Worte faßt:
Ein Sommerhaus auf dem Land, ja, aber nicht jetzt, sondern erst
in einigen Jahren. Aber allein die Gelassenheit dieser beiden
Wörter, ihre Souveränität strahlt Ruhe aus
eine Ruhe, die eigentlich im Widerspruch mit der Konsequenz dieser
Formulierung steht.
Ein Titel, der nicht besser hätte ahnen lassen können,
welche Dichte und Intensität an Gefühlen den Leser
erwartet.
- Geschichten, die nicht verschiedener hätten sein können,
die sich aber trotzdem alle um die gleichen Themen drehen: Liebe,
Vergänglichkeit und Angst vor einem Leben, das nicht stattfindet.
Neun Kurzgeschichten erzählen von ebensovielen Personen,
die scheinbar eines gemeinsam haben: ein Leben, das in der Erinnerung
stattfindet und in dessen Gegenwart sie sich nicht hineinziehen
lassen wollen. Während des Lesens dieser Geschichten spürt
man so sehr die Zeit im Leben dieser Personen vergehen, folgt
ihnen für einige Tage oder Stunden und wird von ihnen wieder
verlassen, so wie sie selbst verlassen oder verlassen werden
und am Ende zu der Erkenntnis gelangen, daß Liebe und Vergänglichkeit
doch nur zwei Wörter für dasselbe sind.
- Die Geschichten:
- - Eine junge Frau, die eigentlich nicht die Geschichte ihrer
Urgroßmutter erzählen wollte, es dann aber doch tut
eine Geschichte, die berührt; viel schmerzhafter
als der Verlust eines Liebhabers aber ist der Verlust eines Korallenarmbandes.
- - Freundinnen, die auf einer Insel ein Spiel spielen, das
"Sich-so-ein-Leben-vorstellen" heißt und die
dieses Spiel mit solcher Konsequenz betreiben, daß der
Hurrikan, der an der Insel vorbeizieht, letztendlich in ihnen
stattfindet.
- - Ein Mann, der eine Frau Sonja- im Zug kennenlernt,
sie nie liebt, viel Zeit mit ihr verbringt, doch eine andere
heiratet, sich aber sein Leben Gedanken machen wird, was wohl
aus Sonja geworden ist, die ihn geliebt hatte wie nie jemand
sonst.
- - Die Geschichte einer sterbenden Großmutter, von ihrer
Enkelin im Café erzählt ein Tod, der ersehnt
und inszeniert wurde von einer ans Bett gefesselten Frau und
der ein stummer Tanz im Feuer wurde.
- - Ein Premierenabend, der unerwartet in der Küche des
Regisseurs endet, dessen balinesische Frau frühmorgens noch
immer nicht erschöpft ist und der eine verwirrende und kalte
Nacht beschließt.
- - Ein Hotelgast, der einer jungen Frau seine Musikkasetten,
das einzig Kostbare für ihn, schenkt und im selben Augenblick
erkennt, daß das der Wert ist, den er für sie hat,
wenn sie am nächsten Tag abgereist sein wird.
- - Stein, der ein Sommerhaus für seine Freunde findet,
die es nicht haben wollen, obwohl sie immer davon geträumt
hatten, und der das Haus renoviert, um nie darin zu leben und
danach vermißt zu werden.
- - Marie und der häßliche kleine Künstler:
Sie wird niemals wissen, was sie von ihm will, aber sie nimmt
alles, was sie bekommen kann und träumt von einem unbewegten
Meer im Winter.
- - Ein Mann, der in seinem Sommerhaus Besuch erhält,
der ihn an seine Vergangenheit erinnert, von der er nichts mehr
wissen will und der er sich entzieht, um gleichzeit von ihrer
Gegenwart fasziniert zu sein.
- Neun Kurzgeschichten, von Judith Hermann, einer jungen Deutschen,
so unglaublich unprätentiös und gegen jede zeitgenössische
Tendenz erzählt, daß man meinen könnte, Erzählen
würde niemals aus der Mode geraten. Tiefes Einfühlungsvermögen
paart sich mit unwahrscheinlichem Sprachgeschick und führt
damit zu einem Leseerlebnis der besonderen Art.
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