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- INTERVIEW
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- "Sommerhaus, später" heißt das erste
Buch der 28-jährigen Schriftstellerin aus Berlin. Die Literaturkritiker
waren davon begeistert. Genauso wie ihr Vater, der ihr wichtigster
Kritiker ist.
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- Gestern Abend bei deiner Lesung hast du einfach angefangen,
ohne dein Publikum zu begrüßen...
Ich bin am Anfang immer etwas unsicher, erst während des
Lesens werde ich dann sicherer.
Eine Zuhörerin wollte es später ganz genau wissen:
,Erzählen Sie mal ein bisschen von sich, wie Sie so aufgewachsen
sind.' Du hast ihr gesagt, sie solle es doch bei Vermutungen
belassen. Warum so schroff?
Ich mag die Fragen nicht, die mich als Autor hinter der Geschichte
vorzerren wollen. Solche Fragen gibt es auf jeder Lesung.
An "Sommerhaus, später" hast du ein Jahr lang
gearbeitet. Wie entstehen deine Erzählungen?
Die fängt im Kopf an. Meistens gibt es irgendwelche Gesprächsfetzen,
Erlebnisse und Situationen, die sich bei mir festhaken und die
ich mir merken muss, weil ich denke, aus denen könntest
du mal eine Geschichte spinnen. Und dann laufe ich lange mit
diesem Bruchstück durch die Gegend. Dann gibt es den Titel,
der kommt noch bevor die Geschichte da ist. Und dann gibt es
den ersten Satz.
"Rote Korallen", der erste Text in deinem Buch, beginnt
zum Beispiel mit dem Satz: "Mein erster und einziger Besuch
bei meinem Therapeuten kostete mich das rote Korallenarmband
und meinen Geliebten."
Bevor ich die ersten drei, vier Sätze nicht im Kopf habe,
traue ich mich nicht mit dem Schreiben anzufangen - das ist auch
das Schwierigste. Dann geht es relativ in einem runter.
Nach dem Schreiben: Wer bekommt deine Erzählungen als
Erster zu lesen?
Mein Vater. Lange Zeit hatte ich ein schwieriges Verhältnis
zu ihm, mittlerweile ist er aber mein bester Kritiker. Wir haben
ein relativ gleiches Verständnis von Literatur und Sprache.
Obwohl ich seine Tochter bin, ist er mir gegenüber erstaunlich
objektiv. Er schafft es, die Distanz zum Text zu kriegen. Subjektiv
ist er nur insofern, als er viel, viel strenger ist als andere.
Eigentlich ist er der schärfste Kritiker meiner Texte.
Kritik vom eigenen Vater - ist die nicht schwer zu akzeptieren?
Klar ist das am schwersten zu ertragen. Während ich an "Sommerhaus,
später" geschrieben habe, habe ich ihm meine Texte
gefaxt und ihn am Abend angerufen und gefragt, wie er sie findet.
Es gab mehrere Abende, da habe ich einfach aufgelegt, weil er
mich so dermaßen gereizt hat. Er war manchmal richtig roh.
Ich war dann tagelang sauer und auch gehemmt beim Schreiben.
Dann hat sich das aber eingependelt, er hat sich im Ton zurückgenommen,
und ich habe versucht, diese Kritik auch anzunehmen. Letztend-
lich hat das, was er gesagt hat, immer gestimmt.
- Hast du außer deinem Vater noch jemandem deine Texte
gezeigt?
Meine Geschichten ist die Schriftstellerin Katja Lange-Müller
Satz für Satz durchgegangen. Am Anfang hatte ich gar keine
Punkte, nur endlose Kettensätze: Komma, Komma, Komma. Dann
hat sie gesagt: "Lies den Satz mal. Spätestens hier
bleibt dir die Puste weg, und da muss es einen Punkt geben."
Du hast dir wohl die richtigen Ratgeber gesucht. Für
dein Buch interessieren sich junge und alte Leser...
Ich habe wirklich befürchtet, dass für die Alten manches,
wie etwa Drogen und Massive Attack, unverständlich bleibt.
Und bei den Jungen habe ich gedacht, es funktioniert nicht, weil
es so tantenhaft erzählt ist, nicht szenig genug.
Mittlerweile steht dein Buch ganz oben auf den Bestsellerlisten
und du bist im "Literarischen Quartett" besprochen
worden. Macht dieser Erfolg glücklich?
Ich kann das schon gar nicht mehr so genau sagen. Im Zusammenhang
mit dem Buch war ich am glücklichsten, als ich mein erstes
Schreibstipendium bekommen habe. Das war eine ungeheure Bestätigung,
das ist so ein Anfang, man ist frei von allen Ängsten und
Zweifeln.
Eine Jury findet zwei deiner Geschichten so großartig und
unterstützt dich für fünf Monate mit je 2000 Mark.
Du kannst in einem totalen Luxus schreiben. Das war der schönste
Moment.
Und dann?
Danach geht es Stück für Stück runter. Man weiß
dann schon sehr viel über seine eigenen Fehler beim Schreiben,
was man eigentlich nie können wird, obwohl alle denken,
dass man es irgendwann mal kann. Die Leute vertrauen einem so
- und man selbst hat das Gefühl, dieses Vertrauen nicht
halten zu können.
Und jetzt hast du den Ruhm am Hals.
Das Quartett habe ich mir erst Wochen später bei Freunden
auf Video angesehen, weil ich keinen eigenen Fernseher habe.
Das war schön. Aber ich musste mir die ganze Zeit vor Augen
halten, dass die von mir sprechen. Es musste wirklich jemand
neben mir sitzen, mich kneifen und mir sagen: "Die meinen
dich." Marcel Reich-Ranicki hat mich schon extrem gerührt,
ich war so mädchenmäßig glücklich und musste
lachen. Ich war verlegen, obwohl mir meine Freunde stolz auf
die Schulter geschlagen haben.
Und was kommt jetzt?
Ich möchte in diesem Jahr viel reisen. Reisen für mein
zweites Buch. Ich will Erzählungen schreiben, aber weiß
noch nicht welche und wie. Ich habe das Gefühl, ich kann
das nicht wiederholen. Ich kann nicht noch mal Geschichten über,
wie es manche gesagt haben, "den Abschied von der Jugend"
schreiben. Ich brauche das, mal wieder weggehen von Berlin.
Wohin willst du?
Zur Zeit suche ich ein Haus auf dem Land. Mit ein paar Freunden.
Das ist ein Traum. Im Grunde ist das aber utopisch, weil wir
alle eigentlich dafür kein Geld haben. Wir sagen den Maklern
60000 Mark, und die Makler sagen, dafür gibt es nur Ruinen.
Wirst du aufhören in einer Berliner Kneipe zu kellnern?
Nein. Ich kellner, weil ich immer schon gekellnert habe, seitdem
ich von der Schule runter bin. Wenn ich aufhören würde,
hätte ich das Gefühl, ich würde auf einen Schlag
um zehn Jahre altern, und ich wäre auf einmal total etabliert.
Es ist so ein Hängen am Jungsein. Außerdem habe ich
so Kontakt zum Alltag und die Bodenhaftung, die einem das gibt.
Das ist so ein normaler Job, wo ich zwar ganz viel sehe und höre
und Geschichten erlebe, wo ich aber an sich in Ruhe gelassen
werde. Ich trage einfach acht Stunden meine Biere durch die Gegend.
Und danach kriege ich meinen Lohn und kann nach Hause gehen.
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- Stefan Jäger
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