Hauptindex
Karl und wie er die Welt sah Aufgabenindex  Kreative Aufgaben
 
 
›23 - Nichts ist so wie es scheint‹
 
Gute Hacker, böse Hacker
Gibt es eine Ethik für das Eindringen in fremde Rechner?
von
Stefan Krempl


(DIE ZEIT 05/1999)

Karl Koch, Protagonist des gerade angelaufenen Films 23 - Nichts ist so wie es scheint, hat die Spezies der Computerhacker wieder ins Gespräch gebracht. Der Streifen beschreibt den realen Aufstieg und Fall des Computerfreaks, der sich in den achtziger Jahren vom KGB anwerben ließ und nach seiner Enttarnung tot und mit Drogen vollgepumpt in einem Berliner Waldstück aufgefunden wurde (ZEIT Nr. 3/99). Im Abspann wird ausdrücklich dem Chaos Computer Club (CCC), der größten Hackervereinigung Deutschlands, für seine Beratertätigkeit gedankt. Inzwischen legt der Club allerdings immer weniger Wert darauf, mit dem Film und der Person Kochs in Verbindung gebracht zu werden. Er will weg vom Image der durchgeknallten, drogensüchtigen und immer am Rande der Legalität operierenden Computerkids. Bei einer Diskussion zum Thema "Hackerethik" während des alljährlich stattfindenden Chaos Communications Congress Ende Dezember in Berlin war man sich einig, daß sich der Club unbedingt stärker abgrenzen müsse von anderen Spielarten der Computerbegeisterung - etwa von den Crackern, die aus Gewinnsucht Schutzcodes von Software knacken, oder den Phreakern, die auf Kosten anderer Leute die Leistungen der Telefongesellschaften in Anspruch nehmen. Aber lassen sich die guten von den bösen Buben wirklich genau unterscheiden? Gibt es eine eigene "Hackerethik"?
Gemäß dem Hackerselbstbild heiligt der hehre Zweck fast alle Mittel. "Hacker decken lediglich Fehler im System auf", sagt die graue Eminenz des Klubs, Wau Holland. Sie leisteten jedesmal ein Stück Aufklärung, wenn sie einen angeblich "unmöglichen" Zugang zu schutzwürdigen oder geheimen Daten fänden.
Derartige Aufklärungsarbeit ist dem CCC in seiner bald 18jährigen Geschichte mehrfach gelungen. Den ersten spektakulären Hack schafften sie Anfang der achtziger Jahre beim Bildschirmtext (BTX) der Post: Sie konnten den Rechner der Hamburger Sparkasse mit Hilfe eines kleinen Basic-Programms dazu "überreden", eine ganze Nacht lang immer wieder die Seite des eigenen BTX-Angebots aufzurufen und dem CCC-Konto 100 000 Mark gutzuschreiben. Seitdem sind vor dem Hackerverein weder Nasa-Computer noch chipbestückte Telefon- oder Handykarten sicher: Für das "Klonen" der Handy-Chips gibt es auf der Web-Site des Clubs eine ausführliche Anleitung - natürlich "ausschließlich für Zwecke der Forschung und Bildung".
Auch auf dem CCC-Kongreß gab es viele als reine Informationsveranstaltungen deklarierte Workshops, in denen sich das überwiegend jugendliche Publikum einschlägig informieren konnte; zum Beispiel über Möglichkeiten, andere ans Internet angeschlossene Rechner "abzuschießen", also zum Absturz zu bringen. Derartige Attacken seien zwar relativ einfach, erklärte Felix von Leitner vom CCC, aber keineswegs zur Nachahmung zu empfehlen: "Don't try this at home!" Auch er beteuert, daß ein gestandener Hacker mit dem Zerstören von Infrastrukturen nichts am Hut habe. "Hacker sind lieb", so der Mittdreißiger. Er selbst hat längst Karriere in der Wirtschaft gemacht und überwacht im Moment die Rechnersicherheit einer amerikanischen Bankgesellschaft.
Unter den Hackern tobt der erste Generationskonflikt
Vielen seiner jüngeren Clubkollegen steht ein ähnlicher Karrieresprung bevor. Gefragt ist ihr Know-how nicht nur bei der Industrie, der sie Sicherheitslücken nachweisen. Selbst die Geheimdienste sollen bei dem einen oder anderen Hacker bereits angeklopft haben, um ihn zur Mitarbeit "auf der anderen Seite" zu bewegen. Und auch Politiker wenden sich immer öfter an die Freaks. Da fällt es manchem erfolgreichen Hacker schwer, den Bezug zur Realität zu halten, zumal die Medien längst jeder Hackertat viel Tinte oder Sendezeit widmen.
Zwei Pressesprecher, Andy Müller-Maguhn und Frank Rieger, sind daher vollauf damit beschäftigt, einerseits die Hackerkids von der Reportermeute abzuschirmen, andererseits das Bild des Hackers in der Öffentlichkeit positiv zu prägen und den Mythos vom modernen Robin Hood zu pflegen. Wenn er wieder einmal gefragt wird: "Was machen Hacker?", dann spricht der Medienexperte Müller-Maguhn von "sinnvollem und zukunftskompatiblem Handeln", von der Aufgabe, "die Welt mit unseren Fähigkeiten mitzugestalten". Man müsse ja auch an die 13- und 14jährigen Einsteiger denken und ihnen eine positive Vision vermitteln.
Dabei kann Müller-Maguhn auf eine Art Ehrenkodex des Clubs verweisen, der dem Hacker Anhaltspunkte für seine "Berufsausübung" geben soll. "Öffentliche Daten nützen, private Daten schützen", "Mißtraue Autoritäten" oder "Alle Informationen müssen frei sein" kann man da nachlesen. Gesellschaftspolitische Forderungen wie: "Der Zugang zu Computern sollte unbegrenzt und vollständig sein" stehen neben eher praktischen Vorschriften: "Mülle nicht in die Daten anderer Leute".
Nicht alle nehmen Müller-Maghun die sozialvisionäre und ethisch unterfütterte Rhetorik ab, mit der er durch die Lande zieht. "Die Rede von der Ethik ist hier eher ein Verkaufsargument, um die Identität der Gruppe nach innen zu festigen und und nach außen das eigene Handeln zu legitimieren", meint etwa Bernhard Debatin, Hochschuldozent für Medienethik an der Universität Ljavascript:document.forms[0].submit()eipzig. Normative Überlegungen flössen in die Hackerregeln zwar ein, die für eine Ethik wichtige eigene Begründung der Werte und ihre Reflexion auf allgemeingültige Normen suche man aber vergeblich.
Da muß die Frage erlaubt sein, ob so manche Regel der "Hackerethik" nicht nur einen eher laxen Umgang mit staatlichen Vorschriften beschönigt. Ein "vorausschauender Umgang mit Gesetzen" sei notwendig, gab Wau Holland in einem Interview mit Spiegel Online zu Bedenken, "nicht das sture Einhalten von Paragraphen." Was heute illegal sei, meint auch Müller-Maguhn, könne morgen bereits legalisiert werden. Die "Chaoten" verweisen in diesem Zusammenhang gerne auf das Fernmeldeanlagengesetz, das früher schon den Anschluß eines Modems an die Telefonleitung unter Strafe stellte - heute die Grundlage für den Internet-Boom.
Die Hacker wissen, daß sie bei ihrer ständigen Gratwanderung durchaus absturzgefährdet sind. Jüngstes Opfer dieses Balanceaktes war wohl der Berliner Starhacker mit dem Pseudonym Tron, der im Oktober erhängt an einem Baum in Berlin aufgefunden wurde. Die Polizei ermittelt noch, geht aber von Selbstmord aus. Der CCC dagegen spricht von Mord. Tron war maßgeblich an der Entwicklung "geklonter" Handykarten beteiligt, hatte Sicherheitsprobleme bei Pay-TV-Karten aufgedeckt und in seiner Diplomarbeit Möglichkeiten zur Verschlüsselung von ISDN-Kommunikation vorgestellt. Aber auch die Verschwörungstheorie, daß der Superhacker von Industriellen oder der Mafia entführt wurde und eine Puppe im Sarg liege, macht in CCC-Kreisen die Runde.
Generell sei das Leben eines Hackers zwar nicht gefährlicher als das eines Autofahrers, murmelt Wau Holland, der Alterspräsident des Clubs, in seinen angegrauten Rauschebart. Auf einem reinen Spielplatz bewege man sich allerdings nicht. Zu den Spannungsfeldern, in denen ein Hacker agiere, gehören für Müller-Maguhn deswegen auch die Bereiche "Organisierte Legalität" und "Organisierte Kriminalität": Auf der einen Seite würden Clubmitglieder abgeworben für "Tiger Teams", die im Auftrag von Behörden oder Unternehmen deren Schutzsysteme zu durchdringen suchen, auf der anderen Seite gebe es Offerten aus den Bereichen der Organisierten Kriminalität oder einfach die Verlockung, mal "umsonst" zu telefonieren.
Hier verläuft auch ein Generationenkonflikt in der Hackergemeinde selbst. Während Müller-Maguhn gegen das "Hacken auf Bestellung" für die Wirtschaft - solange es sich nicht um die Rüstungsindustrie handelt - nichts einzuwenden hat, will Wau Holland von derartigen Jobs prinzipiell nichts wissen. "No hacks for money" ist für ihn die wichtigste Maxime des CCC. In der Vereinssatzung aus dem Jahr 1986 taucht der Begriff des Hackens freilich gar nicht auf. Dort ist nur von "schöpferisch kritischem Umgang mit Technologie" die Rede - ein Selbstbild, das von Joseph Weizenbaum unterstützt wird, dem Doyen der Computerkritik. Der sagte während des Berliner Kongresses, Hacker seien eine "kreative Quelle" für die Gesellschaft - ähnlich wie Dichter oder Komponisten.

(©) DIE ZEIT 1999
Nach oben